Kurzprosa



Die Einweihung


Parkplatz des Schulzentrums. Es regnet. Wir holen unsere Schirme heraus und marschieren Richtung Tennisheim. Dort in der Nähe soll der Festakt stattfinden.

Ich erblicke einen Baldachin, unter dem zwei bis drei Dutzend Leute Schutz suchen. Eine Fregatte in grüner Flusslandschaft. Das muss der Ort des Geschehens sein. Regentropfen prasseln auf meinen Schirm. Wir beschleunigen unsern Schritt. Bekannte Gesichter entdecke ich in der Menge. Wir klappen die Schirme zusammen und drängen uns in die Mitte. Ich begrüße die beste Freundin der Dichterin. Küsschen auf die linke und rechte Wange. "Hallo! Wie geht es dir?" "Sehr gut!" Sie sieht erholt aus, das war nicht immer so. Ich schiebe mich an Lederjacken und Jacketts vorbei und erreiche endlich die schöne Dame mit den schulterlangen, blonden Haaren, die alle Texte geschrieben hat. Wir begrüßen uns. Sie wirkt besorgt, ist nicht glücklich mit der Situation. Der Regen prasselt immer stärker, dunkle Wolken bedrohen uns. Donner in der Ferne. Alle Ehrengäste und Sponsoren scheinen da zu sein, so der Vorsitzende des Träger-Vereins, ein ehemaliger Bürgermeister, der Kulturdezernent, der neue Bürgermeister und ein Bundestagsabgeordneter. Die Herren sind bester Laune, lachen über die Scherze des Abgeordneten, der gerade aus dem Urlaub zurück gekommen ist.

Ein schlanker, großer Mann mit blauem Schal schaut auf die Uhr. Es wird Zeit für seine Begrüßungsrede. Er bittet um Ruhe. Alle Ehrengäste und Sponsoren müssen erwähnt werden, das hat er nicht alles im Kopf, aber dafür gibt es Zettel. Er lobt die Streckenführung des Lyrikweges, die Arbeit der Beteiligten, die Qualität und Auswahl der Texte und fordert alle Anwesenden auf, sich selbst demnächst von dem Reiz des Wanderweges zu überzeugen. Der Regen prasselt immer stärker auf das Schutzdach. Der Wind nimmt zu. Der Abstand zwischen Blitz und Donner wird immer kürzer. Der Mann mit dem Schal hat seine Rede beendet. Man klatscht. Die Gäste nippen wieder an ihren Sektgläsern, essen Nüsse oder Chips, reden miteinander. Die Dichterin signalisiert, dass sie auch etwas sagen möchte. "Dann musst du aber laut reden!" meint der Mann mit dem Schal.

Kompaktkameras und Smartphones werden hochgehalten. Es blitzt. Sie bedankt sich bei allen Helfern und Sponsoren, spricht von der Freude, die sie empfindet, weil heute der Lyrikweg eingeweiht werde. Gesteht, dass ihr auch etwas fehlen wird, nachdem die ganze Arbeit vorbei ist. Es blitzt. Der Wind nimmt weiter zu. Unsere Fregatte schwankt. Alle klatschen. Der Bürgermeister, kleiner als der Durchschnitt der anderen Prominenten, mit Sakko, aber ohne Krawatte, macht sich bereit. Ein Pressefotograf prüft Position und Kamera. Der Baldachin ist direkt neben der ersten Stele, die von einem weißen Laken verhüllt wird, aufgebaut. Der erste Bürger der Stadt geht zwei Schritte auf diese zu, stellt sich davor und versucht, das Laken herunter zu ziehen. Es hakt. Schließlich ist der Blick auf den grauen Granit frei. Ganz oben das Wort Lyrikweg, darunter das Gedicht. Ich kann nur die Überschrift erkennen: "schritte". Unter dem Text eine Skizze des Wanderwegs mit den Orten der 15 Stelen. Die Dichterin, der Vorsitzende und der Bürgermeister gruppieren sich neben dem Granit. Es blitzt. Alle lächeln. Der Pressefotograf schaut sich die Bilder an und ist zufrieden. Wieder ertönt lauter Beifall. Die drei treten rasch unter das Dach, denn die Schleusen des Himmels öffnen sich. Blitz und Donner.

"Schöne Grüße von oben. Der Himmel ist auf unserer Seite!"